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Gerda Breuer (Hg.): Ferdinand Kramer. Design für variablen Gebrauch. Wasmuth Verlag, Tübingen.
Gestaltung: Julia Meer
Ferdinand Kramer (1898 – 1985), vor allem bekannt als Architekt von Siedlungsbauten innerhalb des „Neuen Frankfurt“ der 1920er Jahre oder der Goethe-Universität Frankfurt in der Zeit nach 1945, wird in dem Band erstmals umfassend als Designer von Möbeln und Alltagsdingen aller Art vorgestellt.
Am Beispiel zahlreicher Objekte - Lampen, Öfen, Kochtöpfe und Kannen aus den frühen 1920er Jahren, genormten Fenster- und Türbeschlägen sowie Klein- und Typenmöbel aus der Zeit des Neuen Frankfurt, mit Zeichnungen von Einzelmöbeln und ganzen Warenhauseinrichtungen aus der Zeit von Kramers Emigration in die USA, und Systemmöbeln aus der Goethe-Universität in Frankfurt - gibt der Buchband einen Überblick über das Gesamtwerk. Die Beispiele basieren auf der weltweit größten Sammlung von Designobjekten Ferdinand Kramers, aufgebaut von Gerda Breuer während ihrer Tätigkeit als Professorin an der Bergischen Universität Wuppertal, ergänzt um seltene Einzelstücke aus dem Besitz von Lore Kramer, der Ehefrau von Ferdinand Kramer.
Es ist die Reflexion neuer Entwicklungen in der historischen Moderne, vor allem der neue Lebensstil, der sich in Kramers Entwurfsprinzipien niederschlägt. Der Ausgleich sozialer Defizite durch menschenwürdiges, modernes Wohnen, das Einbeziehen neuer Produktionsbedingungen, neue Ansprüche an Flexibilität und Variabilität seiner Möbel durch die Mobilität einer großstädtischen Gesellschaft – sie materialisieren sich in den Dingen in einer intelligenten Vielfalt. Attribute wie Einfachheit, Benutzbarkeit und Zweckorientiertheit, Möbel zum Selbst-Zusammenbauen, modulare Möbelsysteme sowie zerlegbare Tische und Schränke, sie nehmen Entwurfsprinzipien von Möbeln wie für ein Warenhaus und lange vor Unternehmen wie IKEA vorweg.
Es ist aber vor allem auch der historische Zeithorizont, vor dem die Möbel ihre besondere Aura bekommen.
Kramers Lebenswerk ist unterteilt in seine drei wichtigsten Lebens- und Arbeitsorte: Frankfurt (1920 – 1948), New York (1938 – 1952) und wiederum Frankfurt (1952 – 1963)
1920 – 1938 - Frankfurt Nützlichkeit, Variabilität, Rationalität standen in den 1920er Jahren aufgrund der prekären wirtschaftlichen Situation der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg im Vordergrund. Am Frankfurter Hochbauamt unter der Leitung des Stadtbaurates Ernst May war der junge Ferdinand Kramer ab 1925 für Fragen der Normung: Typisierung und Standardisierung, zuständig. Er entwarf Öfen, Türdrücker und Fensterbeschläge, Stahlzargen und Sperrholztüren, Möbel für Wohnsiedlungen, Schulen und Kindergärten. Nebenher entwickelte er Stühle und Schränke für die Firma Thonet. Zugleich war er in vielen einschlägigen programmatischen Ausstellungen vertreten, wie 1924 in Stuttgart bei der Werkbund-Ausstellung „Die Form" oder drei Jahre später in der Werkbund-Ausstellung „Die Wohnung" in der Weißenhofsiedlung, wo er ein Reihenhaus von J. J. P. Oud und zwei Wohnungen im Haus von Ludwig Mies van der Rohe einrichtete. Am Beispiel seiner Möbel untersucht der Band seine Entwurfsorientierungen, die Auseiandersetzung mit seinen Vorbildern Adolf Loos und Le Corbusier, seine Arbeit im Rahmen des „Neuen Frankfurt“ und vieles andere mehr.
1938 – 1952 - Emigration in die USA Nachdem er 1937 aus der Reichskammer der bildenden Künste ausgeschlossen und mit Arbeitsverbot belegt worden war, emigrierte Kramer 1938 in die USA. Mehr als viele seiner Kollegen, zum Beispiel vom Bauhaus, faszinierte ihn der mobile Lebensstil der Amerikaner. Zahlreiche neue Möbel entwarf er: z.B. Miniküchen auf Rädern, „Knock-Down-Furniture“ – zerlegbare Möbel nach dem Vorbild amerikanischer „Knock-Down-Houses“ –, stapelbare, zusammenklappbare, fahrbare Möbel, angepasst an das „Do-it-yourself-Prinzip“, ganze Wareneinrichtungen nach neuesten Theorien der Wahrnehmung und sogar einen Wegwerf-Regenschirm aus Papier, den äußerst erfolgreichen „Rainbelle“. Zugleich arbeitete er als Architekt mit den Frankfurter jüdischen Emigranten des „Instituts für Sozialforschung“, u.a. mit Max Horkheimer und mit seinem Jugendfreund Theodor W. Adorno, zusammen.
1952 – 1963 - Frankfurt Es war Max Horkheimer, ab 1951 Rektor der Frankfurter Universität, über den Kramer 1952 nach Deutschland zurückkehrte und der ihn als Baudirektor der Johann Wolfgang Goethe-Universität mit dem Wiederaufbau betraute. Kramer baute nicht nur das zerstörte Universitätsgelände mit 23 neuen Instituts-Gebäuden wieder auf, sondern übernahm auch deren Inneneinrichtung. Hierfür benötigte er Systemmöbel für den Massenbedarf, die gleichermaßen für einen variablen Gebrauch verwendbar waren. Zum Teil griff er auf Möbel aus den 1920er Jahren zurück und legte sie neu auf, zum Teil schuf er neue Möbelprogramme, z.B. die kd-Möbel (kd = knock down), zerlegbare Tische und Schränke in einem modularen System, mit verschiedenen Formaten und mit vielen Kombinationsmöglichkeiten.
Besonders interessant ist, dass er sich nicht scheute, auf bewährte, anonyme Einrichtungsgegenstände, die auf dem Markt schon vorhanden waren, zurück zu greifen, sie teilweise zu ergänzen oder zu verbessern. Auch Möbel von den Eames, Nico Kralj, Egon Eiermann, der Hardoy Chair und der Fledermaus-Sessel kamen zum Einsatz. Unabhängig vom Status der Person, ob Rektor, Dozent oder Student, wurden Kramers Möbel in allen Räumen der Universität eingesetzt. Beiläufig und zurückhaltend waren sie „stumme Diener“ eines aufgeklärten, demokratischen Geistes und gaben der Frankfurter Universität inmitten der restaurativen 50er Jahre ein besonderes modernes Flair.
Immer wieder erlebten Kramers Arbeiten auch nach seinem Tod Interesse. Zur Zeit erfahren seine Entwürfe ein unvergleichliches Revival und werden als Klassiker auf dem Markt von originalen Vintages und als Nachbauten neu gehandelt.
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